Dr. Gerald Gaß
Vorstandsvorsitzender, Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., Berlin
- Seit dem 1. April 2021 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)
- 2018 bis Ende 2020 Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
- seit 2008 Geschäftsführer des Landeskrankenhauses (AöR) mit Sitz in Andernach, das mit insgesamt 17 Standorten und 4.000 Beschäftigten über rund 2.200 Betten verfügt.
- zuvor Leiter der Abteilung „Gesundheit“ im rheinland-pfälzischen Sozialministerium
- Diplom-Volkswirt und Diplom-Soziologe
Drei Fragen an Dr. Gerald Gaß
Vorstandsvorsitzender, Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., Berlin
Die Bundesregierung hat den Entwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) im Mai gebilligt. Rückt das Ziel einer bedarfsgerechten Modernisierung der Krankenhauslandschaft damit näher?
Die Ziele des KHVVG teilen wir ganz überwiegend, und diese Ziele bieten auch die Chance zur Modernisierung der Versorgungsstrukturen. Leider erreicht aber der Gesetzentwurf aus dem Hause Lauterbach mit den darin vorgesehenen konkreten Reformen diese Ziele nicht. Denn nach wie vor leiden die Krankenhäuser massiv unter den inflationsbedingten Mehrkosten. Sie geben nun seit mehr als zwei Jahren mehr Geld aus als sie einnehmen, ohne dass die Politik diese Lücke schließt. Immer mehr Kliniken halten diesen Spagat nicht durch und werden die Krankenhausreform gar nicht erst erleben. Bei anderen gibt der Gesundheitsminister den Schwarzen Peter an Länder und Kommunen ab, die mit viel Steuergeld ihre kommunalen und Unikliniken stützen müssen – Geld, das an anderer Stelle fehlt. Viele Elemente der Reform bewirken das Gegenteil von flächendeckender und bedarfsorientierter Versorgung. So taugt die groß angekündigte Vorhaltekostenfinanzierung überhaupt nichts, da sie tatsächlich weiterhin stark von den Fallzahlen abhängt. Diese Finanzierungsreform fördert weder die Konzentration komplexer Behandlungen, noch sichert sie die Existenz bedarfsnotwendiger Grundversorgungshäuser.
Der ebenfalls im Mai vorgestellte Klinik-Atlas des BMG stößt auf breite Kritik. Wie lässt sich das Ziel mehr Transparenz bei der Behandlungsqualität erreichen?
Nach einem Monat können wir ganz klar feststellen, dass dieser „Transparenzatlas“ ein Reinfall ist. Der Minister, der sich immer auf die Wissenschaft beruft und behauptet, mit seinem Transparenzatlas Leben zu retten, sorgt für Desinformation und Patientengefährdung. Lauterbach testet hier eine völlig untaugliche und fehlerbehaftete Beta-Version an den Patientinnen und Patienten. Kein Bereich des Gesundheitswesens ist schon seit vielen Jahren so transparent wie der stationäre Sektor. Krankenhäuser sind verpflichtet, regelmäßig Qualitätsberichte abzuliefern. Mehrere Online-Suchmaschinen nutzen diese Berichte, zum Beispiel das Deutsche Krankenhausverzeichnis unter Mitarbeit der DKG. Und wer dieses nicht nutzen möchte, hat ähnliche Angebote zur Verfügung, etwa von den Krankenkassen. Zumindest das Deutsche Krankenhausverzeichnis wird ständig aktualisiert und erhält neue Daten. Mit 500.000 Zugriffen im Monat hat es auch eine relativ hohe Bekanntheit. Größtes Problem ist wahrscheinlich, dass viele Patientinnen und Patienten von den Angeboten dieser Suchmaschinen gar nichts wissen. Deswegen konnte Lauterbach seinen Atlas auch als Neuheit verkaufen, die er nicht ist.
Der Kongress steht unter dem Motto „Für ein resilientes Gesundheitswesen“. Wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen?
Neben allen Strukturveränderungen müssen wir unser Gesundheitswesen stärker darauf ausrichten, dass Behandlungen gar nicht erst nötig werden. Die vergleichsweise schlechte Lebenserwartung und der hohe Bedarf an medizinischer Behandlung in Deutschland hängen mit der mangelnden Prävention von Krankheiten zusammen. Beim Rauchen und beim Alkohol nimmt Deutschland einen Spitzenplatz in Europa ein, hinzu kommt die traditionell ungesunde Ernährung mit viel Zucker und tierischen Fetten. Schauen Sie nach Nordeuropa: Die guten Gesundheitsdaten in Dänemark und Schweden hängen wesentlich mit der Lebensweise zusammen. Es wird deutlich weniger Alkohol getrunken und geraucht. Zudem nutzen die Menschen viel häufiger das Fahrrad als das Auto. Die ältesten Menschen der Welt finden Sie in Japan und am Mittelmeer, also dort, wo man sich besonders gesund und ausgewogen ernährt. Gesundheitsprävention ist nicht nur Aufgabe der Gesundheitspolitik, sondern reicht weit darüber hinaus. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, aber sie ist im Hinblick auf Demografie, Fachkräftemangel und vieles mehr alternativlos. Es muss also darum gehen, vermeidbare Krankheiten und damit verbundene Behandlungen tatsächlich zu vermeiden und die Strukturen so zu entwickeln, dass die Patienten schneller an den für sie geeigneten Behandlungsort kommen.