Dr. Ruth Hecker
Vorsitzende, Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin
- seit 2019 Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit
- 2016-2019 stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit
- derzeit in der Universitätsmedizin in Essen, seit sechs Jahren für das Qualitätsmanagement und klinische Risikomanagement verantwortlich
- Studium der Gesundheitswissenschaften in Bielefeld
- 2001 Wechsel zur Ärztekammer
- viele Jahre Tätigkeit als Anästhesistin und Notfallmedizinerin
- Studium der Medizin in Bochum
- Ausbildung zur Krankenschwester
Drei Fragen an Dr. Ruth Hecker
Wie sicher ist das deutsche Gesundheitswesen aus Sicht der Patient:innen?
Es ist unbestritten, dass der Zugang zu den Leistungen der Versorgung in Deutschland sehr niedrigschwellig ist, dies ist überaus positiv. Was Patient:innen auf ihrer Patient Journey erleben, insbesondere chronisch Kranke, ist wenig vorbildhaft für unser Land. Viele berichten von einer langen Suche nach dem richtigen Arzt, von der Dauer, bis sie die richtige Diagnose erhalten haben und dann von der Suche nach der für sie richtigen, individuell angepassten Therapie. Viele Patient:innen reifen auf diesem Weg zu Expert:innen, die durchaus dem medizinischen Personal auf Augenhöhe begegnen können. Sicherheit bedeutet für die Patient:innen nicht nur der Behandlungsfehler, der vermieden wurde, sondern auch die psychologische Sicherheit, dass die eigene Meinung im Behandlungsprozess zählt, dass geschilderte Symptome und Beschwerden ernst genommen werden, dass sie Partner:innen im Behandlungsprozess sind.
Viele Todesfälle sind vermeidbar, hat jüngst eine Studie im Auftrag der Regierungskommission zur Krankenhausreform festgestellt. Was sind die Ursachen, was muss sich ändern?
Wir haben Qualitätsunterschiede in der Gesundheitsversorgung, die auch zu Todesfällen führen können, die grundsätzlich vermeidbar sind. Wir Health Care Professionals wissen das genau, nur wir sprechen nicht darüber. Der Glaube und das Festhalten an dem Satz, dass wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, hat dazu geführt, dass wir viel zu spät Veränderungen anstreben. Bedauerlicherweise streben wir diese Veränderungen aber nicht aufgrund der seit vielen Jahren (z.B. EU-Länderreport, Studien der OECD) bekannten Fakten an, dass wir zu viele vermeidbare Todesfälle haben, sondern weil unser Gesundheitssystem zu teuer wird. Wir brauchen Mut zu Veränderung und Transparenz, zur Qualität in der Versorgung - und das sektorenübergreifend. Ein sehr gutes gesellschaftliches Ziel wäre es, sichere Patientenversorgung als Ziel auszusprechen und es zu definieren.
Wie können Patientenrechte künftig gestärkt werden, wie kann der Nationale Aktionsplan Patientensicherheit helfen?
Der Nationale Aktionsplan Patientensicherheit, den das Aktionsbündnis Patientensicherheit mit seinen Partnern fordert, hilft indirekt. Es gilt, die schon vorhandenen Aktivitäten zu bündeln und untereinander zu vernetzen. So können Stärken, aber auch Schwächen von der Gesetzgebung bis hin zur Versorgung aufgedeckt und zielführend bearbeitet werden. Zunächst wird aber ein Bewusstsein geschaffen, dass wir es im Gesundheitswesen insgesamt mit einer Hoch-Risiko-Organisation (ähnlich den Banken, der Luftfahrt und der Kernenergie) zu tun haben. Und genau so müssen dann auch die politischen Rahmenbedingungen, Forderungen und Unterstützungsmöglichkeiten gestaltet werden. Die Patientensicherheit wird als Leitprinzip im Gesundheitswesen anerkannt, Patientensicherheitsverantwortliche dem Datenschutzbeauftragten gleichgestellt. Die Einbeziehung der Patient:innen als Mitentscheider:innen in wesentliche Entscheidungsgremien ist genauso wichtig wie die Ausbildung aller Health Care Professionals mit dem Ziel sicherer Versorgungssysteme. Dazu gehört im Wesentlichen auch die Forschung zu diesem Thema, die in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich unterrepräsentiert ist.